Kioskwand
„Ich hab jetzt endlich mal alle toxischen Menschen aus meinem Leben geworfen und fühl mich so viel besser!“  

Rauswerfen, wegwerfen, loswerden, entscheiden was bleiben darf und was gehen muss, jeder entrümpelt gerade seinem Kleiderschrank und zwischenzeitlich auch seine Gefühle und sozialen Kontakte. Aber reicht dieses Detoxen wiklich um allen Ballast loszuwerden und wieder voll glücklich zu sein?

„Ich werfe alles Toxische aus meinem Leben!"
Dieser Satz ich schön gesagt und hört sich natürlich gut an, aber was gibt er uns eigentlich? Warum gibt er uns das Gefühl von Erleichterung? Fühlen wir uns dadurch entscheidungsstark? Als hätten wir Kontrolle über unser Leben und würden uns nur auf das Gute konzentrieren? Wollen wir wirklich etwas in unserem Leben verändern oder uns nur ein wenig besser fühlen, weil wir denken allein die Überlegung reicht?

Rauswerfen, wegwerfen, loswerden, entscheiden was bleiben darf und was gehen muss.
Es ist verständlicherweise ja viel Wahres an der ganzen Sache. Wir häufen Berge an Kleidung, Besitztümern, Gefühlen, schlechten Angewohnheiten, Eindrücken auf Social Media, Handynummern von Menschen die wir nie wiedersehen werden und Freundschaften von denen wir wissen, dass sie uns nicht guttun an. Man fühlt sich oft überfüllt, eingeengt. Als würde man versuchen unter Wasser zu atmen.
So ist es nachvollziehbar, dass viele von uns einfach mal raus wollen, all das angehäufte hinter sich lassen, von neuem Anfangen. Aber es macht Angst. Was wenn ich die Nummer lösche und mich aber doch noch einmal melden möchte? Was wenn ich diese Freundschaft beende und dann allein dastehe? Was wenn ich nicht weiß wie ich mit meinen Gefühlen umgehen soll?

Aber wenn wir es dann doch durchziehen, ist das schon genug? Reicht es, einfach alles wegzuwerfen? Denn, Müll anhäufen und einfach wegignorieren heißt am Ende auch: bereit für neuen Müll sein.
Wenn wir alle sechs Monate alles Toxische aus unserem Leben sortieren müssen, dann wird es vielleicht Zeit sich mit Fragen auseinanderzusetzen: woher kommen die? Und wie kann ich sie endgültig und dauerhaft loswerden?
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Ich gebe zu, auch ich habe immer noch Nummern in meinem Handy eingespeichert von denen ich weiß, dass ich nie wieder Kontakt zu den Menschen hinter diesen Nummern haben werde. Ich führe auch die ein oder andere Freundschaft bei der ich nicht weiß, ob ich sie wirklich Freundschaft nennen kann. Aber kann ich die Nummer so einfach löschen oder die Freundschaft so einfach beenden? Ich weiß es nicht.

Auch ich habe Angst davor einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Klar bei Kleidung und anderen Besitztümern ist das natürlich einfacher – für mich zumindest. Aber was ist mit Freundschaften, Menschen und Gefühlen die man mit sich herumträgt, obwohl sie einen nur herunterziehen, klein machen, einem das Gefühl geben nicht gut genug zu sein?
Ich denke, ich habe Angst davor mein "Backup" - mein Gedanke daran, dass ich all das doch noch brauchen kann, dass all das doch noch wichtig ist - zu verlieren oder gar ganz alleine dazustehen. Genauso wenig möchte ich aus meiner Routine ausbrechen müssen und mir ein neues "Normal" zulegen müssen.
Und ich glaube, genau das ist auch für viele andere das Problem, denn wir leben in einer Welt, in der wir alle durch Social Media miteinander verbunden sind und ich glaube viele von uns haben Angst diese Verbundenheit zu verlieren. Alleine dazustehen. Denn das alles könnte passieren, wenn man von allem Toxischen losreißt. Man ist allein, blank. Aber ist nicht genau das manchmal das, was wir brauchen?

All das loszuwerden um endlich wieder durchatmen zu können? Endlich frei zu sein von diesen schlechten Gefühlen, unnötig aufgestauten Besitz und toxischen Freundschaften. Nicht umsonst ist der Trend zum Minimalismus so beliebt.
Und seien wir doch ehrlich, so schwer es auch klingen mag, aber ist es den wirklich besser mit all dem Angehäuften einfach so weiterzumachen? Ich denke nicht.
Manchmal müssen wir eben einfach mal über unseren verängstigten Schatten springen und Freundin xy ins Gesicht sagen, dass diese Freundschaft für die Mülltonne ist, wenn sie uns zum 100. mal sagt wie wenig sie uns unsere Beförderung vergönnt.

Und wenn wir nun beschließen unseren Instagram Account für einige Zeit auf Eis zu legen, unsere überschüssige Kleidung an einen guten Zweck zu spenden oder endlich mit unserer undankbaren Freundin xy schluss machen, so sollten wir uns auch immer, wenn wir so eine Entscheidung treffen bewusst sein, warum wir diese Entscheidung treffen und was passiert ist damit wir diese Entscheidung überhaupt treffen müssen.
Denn dann können wir beim nächsten mal auch bewusster entscheiden ob wir diese Bluse tatsächlich brauchen oder ob die Partybekanntschaft ein zweites Geschpräch wirklich wert ist.

So können wir alles Toxische auch auf Dauer loswerden und endlich mal richtig durchatmen, anstatt nur einen kleinen Atemzug zu nehmen, bevor es dann wieder ins Wasser zurückgeht.